Welternährung: Gegenwart und Zukunft

Welternährung: Gegenwart und Zukunft
Welternährung: Gegenwart und Zukunft
 
Nach Berechnungen und Schätzungen der FAO stieg von 1993 bis 1994 die Nahrungsmittelproduktion wie in den Vorjahren leicht an und lag um 31 % über dem Mittelwert der Jahre 1979 bis 1981. Wegen der gleichzeitigen Zunahme der Weltbevölkerung stieg die Pro-Kopf-Produktion 1994 aber nur um knapp 4 % gegenüber dem Zeitraum von 1979 bis 1981. Das Jahr 1995 brachte global gesehen einen Produktionsrückgang landwirtschaftlicher Erzeugnisse, sodass in vielen Regionen die Vorräte übermäßig in Anspruch genommen werden mussten und unter den von der FAO zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit angenommenen Wert sanken. In den Jahren 1996 und 1997 hingegen stieg die Produktion wieder an und war insgesamt hoch genug, um trotz weiter steigender Bevölkerungszahlen zu einer erhöhten Pro-Kopf-Produktion zu führen. Rein theoretisch hätten demnach Ernte und Vorräte zur ausreichenden Ernährung aller Menschen ausgereicht. Infolge regionaler, nationaler und sozialer Unterschiede ist dieses aber nicht der Fall.
 
 500 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt
 
Pauschal betrachtet hat sich in den weniger entwickelten Ländern die mittlere Pro-Kopf-Aufnahme von Nahrungsenergie von 1970 bis 1995 von 2131 auf 2572 Kilokalorien (kcal) erhöht. Gleichzeitig stieg dieser Wert in den entwickelten Ländern von 3016 auf 3157 kcal, sodass weiterhin ein beträchtlicher Versorgungsunterschied zwischen den beiden Ländergruppen bestehen bleibt. Der Unterschied ist sogar viel stärker, als die Durchschnittswerte erkennen lassen. In den weniger entwickelten Ländern haben mindestens 800 Millionen, möglicherweise sogar eine Milliarde Menschen nicht genug zu essen; etwa 500 Millionen Menschen gelten als chronisch unterernährt. Mehr als ein Drittel der Kinder leidet an Unterernährung. Nicht zuletzt infolgedessen ist die mittlere Sterblichkeitsrate für Kinder unter fünf Jahren mit 95 pro 1000 Lebendgeburten weit höher als in den Industrieländern. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass in vielen armen Ländern gleichzeitig Nahrungsknappheit und Mangel an sauberem Trinkwasser besteht und außerdem die Abwasser- beziehungsweise Fäkalienbeseitigung unzureichend ist. Körperliche Schwäche und hohe Infektionsgefahr (vor allem mit Durchfallkrankheiten) kommen so zusammen.
 
Die weniger entwickelten Länder stellen keine einheitliche Gruppe dar. Das zeigt sich besonders bei der Betrachtung der jeweiligen Eigenproduktion an Nahrungsmitteln. Wenn auch pauschal gesehen die Nahrungsmittelproduktion in den weniger entwickelten Ländern 1996 gegenüber 1980 pro Kopf um 39 % gewachsen ist, so gibt es dennoch in einzelnen Ländern erhebliche Abweichungen nach oben oder nach unten. Beispielsweise vermochten China, Indien, Indonesien und Brasilien ihre Produktion deutlich zu steigern, ohne jedoch die Unterernährung ganz beseitigen zu können. In den am wenigsten entwickelten Ländern hingegen verringerte sich in dem genannten Zeitraum die Pro-Kopf-Produktion um sechs Prozent. Hierbei handelt es sich vor allem um afrikanische und mittelamerikanische Länder.
 
 Ursachen für Nahrungsmangel: Armut und zu geringe Eigenproduktion
 
Der Nahrungsmangel, der zu der erwähnten Zahl von 0,8 bis 1 Milliarde unzureichend ernährter Menschen in den weniger entwickelten Ländern führt, hat mehrere Ursachen. Eine davon ist die zu geringe Eigenproduktion an Nahrungsmitteln, die sich in der sinkenden Pro-Kopf-Produktion vieler dieser Länder widerspiegelt. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die zu geringe Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft, die vor allem auf das Fehlen moderner standortgerechter Bewirtschaftungsmethoden, geeigneten Saatguts und ausreichender Düngung zurückgeht. Erschwerend für einen Fortschritt sind vielfach traditionelle gesellschaftliche Strukturen in Gestalt von leistungshemmenden Agrarverfassungen, hinderlichen politischen Maßnahmen wie Vernachlässigung ländlicher Räume zugunsten der neu entstandenen und ständig wachsenden städtischen Ballungsgebiete oder wirtschaftlich nicht angemessene Preisfestsetzungen für Nahrungsmittel, die keinen Anreiz für eine Mehrproduktion bieten. Als ernstes Hemmnis für Produktionssteigerungen erweist sich auch der durch lange falsche Bewirtschaftung entstandene, weit verbreitete Rückgang der Bodenfruchtbarkeit. Erhebliche Bedeutung haben darüber hinaus die hohen Ernte- und Nachernteverluste aufgrund von Schädlingsbefall und Verderb; auch fehlende oder unzulängliche Lagermöglichkeiten spielen eine Rolle. In manchen Fällen kann infolge fehlender Verkehrsverbindungen nicht einmal ein Ausgleich zwischen Überschuss- und Mangelgebieten erfolgen.
 
Eine weitere, ganz entscheidende Ursache für Nahrungsmangel ist die Armut. Devisenmangel des Staats macht den Import von Nahrungsmitteln unmöglich. Staatliche Armut verhindert den Aufbau von Transportkapazitäten ebenso wie den Bau zweckmäßiger Lagerräume. Vor allem aber leben große Teile der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, das heißt, sie sind individuell so arm, dass sie sich keine ausreichende Menge an Nahrungsmitteln kaufen können — selbst dann nicht, wenn ein Angebot besteht. Es bedarf also in vielen Fällen nicht nur der Förderung der Landwirtschaft zwecks Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, sondern der Schaffung von Arbeitsplätzen allgemein, um den Menschen die Gewinnung von Kaufkraft zum Erwerb von Lebensmitteln zu ermöglichen.
 
Übersehen darf man nicht, dass Nahrungsmangel besonders in Afrika in den vergangenen Jahrzehnten und bis heute in erheblichem Umfang durch Bürgerkriege oder Machtkämpfe ausgelöst oder verstärkt worden ist, so beispielsweise in Angola, Äthiopien, Burundi, Eritrea, Kongo-Zaire, Liberia, Mosambik, Ruanda, Somalia, Sudan. In diesen Ländern leben viele Menschen unterhalb der Armutsgrenze und leiden an den zum Teil lebensbedrohenden Folgen von Unterernährung.
 
 Der Mangel an Nahrungsprotein hat schwerwiegende Folgen
 
Besonders häufig ist Nahrungsenergiemangel, der in der Regel mit Nahrungsproteinmangel verknüpft ist. Das liegt zum einen daran, dass die im Vergleich zu Kohlenhydraten immer nur in kleinerer Menge verfügbaren Proteine bei allgemeinem Nahrungsmangel zunehmend knapper werden. Zum anderen werden bei zu niedriger Nahrungsenergiezufuhr die Nahrungsproteine auch zur Deckung des Energiebedarfs des Körpers verwendet. Es kommt also zu einer Protein-Energie-Mangelernährung. Bei längerer Dauer des Mangelzustands wird auch das Muskelgewebe, das heißt körpereigenes Eiweiß, zur Aufrechterhaltung der Lebensprozesse herangezogen; die Folgen sind extreme Abmagerung und Schwächung mit hoher Sterblichkeit. Dieses Krankheitsbild, das vor allem bei Kleinkindern auftritt, wird als Marasmus bezeichnet.
 
Neben dieser schweren Form der Protein-Energie-Mangelernährung, von der schätzungsweise zehn Millionen Menschen betroffen sind, gibt es noch eine mildere Verlaufsform, die bei der Mehrheit der etwa 500 Millionen chronisch unterernährten Menschen anzutreffen ist. Auch hierbei sind die Folgen insbesondere für Kinder schwerwiegend, da ihre geistige und körperliche Entwicklung gehemmt wird. Darüber hinaus sind diese Kinder besonders von Infektionskrankheiten und Parasitenbefall betroffen, denn ein schlechter Ernährungszustand mindert die körpereigene Abwehr. Bei Fieber, das die Infektionskrankheiten häufig begleitet, steigt der Energiebedarf wesentlich an, sodass sich das Versorgungsdefizit noch vergrößert. Die häufig vorhandenen Darmparasiten sind entweder Nahrungskonkurrenten und mindern so die Nährstoffaufnahme im Darm oder sie schwächen durch Blutentnahme. Aus dem schlechten Ernährungszustand allgemein und dem erhöhten Krankheitsrisiko im Besonderen erklärt sich die bereits erwähnte hohe Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren, die trotz deutlicher Verbesserungen in jüngster Vergangenheit in den weniger entwickelten Ländern im Mittel noch mehr als fünfmal so hoch ist wie in den Industrieländern. In den ärmsten Ländern liegen die Werte sogar noch wesentlich höher.
 
Eine einseitige Ernährung mit Kohlenhydraten (Nahrungsenergie) bei längerfristigem Mangel an Nahrungseiweißen führt zu der mit einer hohen Sterblichkeit einhergehenden Mangelkrankheit Kwashiorkor, von der — wiederum — vor allem Kleinkinder im ländlichen Afrika betroffen sind.
 
 Mangelernährung mit Spurenelementen und Vitaminen gibt es auch in den Industrieländern
 
Zur Unterernährung im weiteren Sinn gehören auch Defizite in der Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen. Beispielsweise tritt Mangel an Vitamin A bei unzureichendem Verzehr von Obst und Gemüse mit der Vitamin-A-Vorstufe Carotin sowie von tierischer Nahrung wie Leber, Milch und Milchprodukten auf. Vitamin-A-Mangel führt zu Störungen des Sehvermögens, im Extremfall zur Erblindung (bekannt werden um die 300 000 Fälle pro Jahr). Zahlenmäßig geringer sind Fälle von Vitamin-B1-Mangel, der bei einseitiger Ernährung mit geschältem Reis auftritt und zu der Mangelkrankheit Beriberi führt, sowie von Niacin-Mangel, Pellagra, der eine Folge von einseitiger Maiskost ist.
 
Defizite in der Versorgung mit Spurenelementen finden sich vor allem bezüglich Eisen und Iod. Weltweit am häufigsten mit rund 1,5 Milliarden Betroffenen ist Eisenmangel, der zu Blutarmut (Anämie) führt; er entsteht, wenn die Nahrung zu wenig Eisen enthält oder wenn der Körper das im Nahrungsmittel enthaltene Eisen nicht in ausreichender Menge aufnehmen kann, wie es beispielsweise bei Darmkrankheiten der Fall ist. Wichtig für die Eisenversorgung sind Fisch, Fleisch und Milchprodukte und unter den pflanzlichen Produkten unter anderm Sesam- und Hirsekörner. Insgesamt jedoch kann Eisen aus Nahrung tierischen Ursprungs wesentlich besser aufgenommen werden als solches aus Pflanzenkost.
 
Iodmangelernährung tritt regional in verschiedenen Erdteilen dort auf, wo aus geologischen Gründen Iod im Wasser und in nahrungsliefernden Pflanzen fehlt; in solchen Gebieten lebt etwa eine Milliarde Menschen. Iod ist zum einwandfreien Funktionieren der Schilddrüse nötig. Iodmangel führt zu ihrer Vergrößerung und in schweren Fällen zur Ausbildung eines Kropfes, wovon etwa 200 Millionen Menschen betroffen sind. Ein Iodmangel bei Schwangeren kann zu schweren Störungen der Embryonalentwicklung mit der Folge körperlicher und geistiger Unterentwicklung des Kindes führen; dieses als Kretinismus bezeichnete Krankheitsbild findet sich bei sechs Millionen Menschen. Für die ausreichende Iodversorgung sind Nahrungsobjekte aus dem Meer wichtig, wie Fische, Muscheln, Algen. Zur Verhinderung einer Unterversorgung mit Iod wird in vielen Ländern iodiertes Speisesalz verwendet.
 
In den entwickelten Ländern tritt eine Mangelernährung an den Grundnährstoffen — den Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen — praktisch nicht auf; wohl aber gibt es weit verbreitet eine Überernährung, die eine Reihe von ernährungsbedingten Erkrankungen auslösen oder fördern kann. In den meisten Fällen setzt dies zwar eine erbliche, also genetisch begründete Veranlagung voraus, die Zahl der Betroffenen ist aber recht hoch. Ernährungsbedingte Krankheiten nehmen beispielsweise in Deutschland einen hohen Rang in der Todesursachenstatistik ein. Im Gegensatz zu der Versorgung mit Grundnährstoffen gibt es auch in den Industrieländern durchaus eine nennenswerte Mangelernährung mit Spurenelementen und Vitaminen.
 
 Möglichkeiten zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion
 
Will man die Nahrungsmittelproduktion steigern, gibt es auf dem agrartechnischen Sektor prinzipiell zwei entscheidende Möglichkeiten: zum einen die Steigerung der Hektarerträge von wichtigen nahrungsliefernden Pflanzen durch Intensivierung des Anbaus, wozu auch die Bewässerung zusätzlicher Flächen gehört, und zum anderen die Gewinnung neuen Ackerlands durch Flächenausweitung. Die verfügbare Ackerfläche lässt sich jedoch kaum noch ausdehnen, denn die nach Bodenverhältnissen und Klimabedingungen geeigneten Flächen stehen weitgehend schon in Nutzung. In ungünstigen Gebieten sind sogar durch falsche Bewirtschaftung Flächen verloren gegangen. Darüber hinaus sprechen in einigen Fällen Naturschutzgründe gegen eine ackerbauliche Nutzung. Zudem ist Wasser in vielen Regionen zum Mangelfaktor geworden, sodass auch die Ausweitung der Bewässerungskulturen an Grenzen stößt. Zumindest gilt dies für die herkömmlichen Bewässerungstechniken, die mit hohen Wasserverlusten und somit einem hohen Verbrauch einhergehen. Moderne Bewässerungssysteme wie beispielsweise die Tropfbewässerung erreichen mit vergleichsweise geringem Wasserverbrauch hohe Produktionsleistungen, tragen also zur Intensivierung des Anbaus bei. Der Intensivierung kommt im Vergleich zur Flächenausweitung die entscheidende Bedeutung bei der Produktionssteigerung zu; über sie sind schätzungsweise 80 Prozent der angestrebten Ertragssteigerungen zu erreichen. Außer der effizienteren Bewässerung spielen dabei folgende Maßnahmen eine Rolle: In erster Linie ist es die Pflanzenzüchtung, unter anderem mit den Zielen erhöhte Ertragsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge sowie Eignung für bestimmte Klimabedingungen; dabei werden große Hoffnungen auf moderne biotechnische Verfahren, insbesondere auf die Gentechnik gesetzt. Um eine breite Basis für alle Formen der Pflanzenzüchtung zu haben, strebt man die Erhaltung der Vielfalt der Kulturpflanzensorten als pflanzengenetische Ressourcen an. Weitere Maßnahmen sind Düngung, Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Optimierung der Anbautechnik.
 
 Vonnöten ist eine »Supergrüne Revolution«
 
Die Erhöhung der Agrarproduktion zur langfristigen Sicherstellung der Welternährung im 21. Jahrhundert ist jedoch kein rein agrartechnisches Problem, vielmehr spielen politische und soziale Rahmenbedingungen sowie die Verfassung der Märkte, also das handelspolitische Umfeld, eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Das zeigt sich in sehr verschiedenen Bereichen. So sind in Mitteleuropa und in den USA aus agrarpolitischen Gründen Anbauflächen aus der Produktion genommen (»stillgelegt«) worden, um Getreideüberschüsse zu mindern. Hier verhindern nationale Agrarpolitik und internationale Handelshemmnisse eine rasche Erhöhung der Produktion. Deutlich andere Probleme bestehen in den weniger entwickelten Ländern. Beispielsweise ist die Einführung neuer Sorten oder Anbautechniken in die bäuerliche Praxis dieser Länder weitgehend abhängig von den herrschenden ökonomischen Bedingungen.
 
Das war schon bei der Grünen Revolution der 1960er- und 1970er-Jahre so. Die damaligen Erfolge bei der Ertragssteigerung von Weizen, Reis und Mais wurden agrartechnisch gesehen durch geeignete Kombination von Hochleistungssorten, Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Bewässerung erzielt. Entscheidend für den Erfolg dieses Technologiepakets waren aber die Fortschritte bei der Vermarktung der Agrarprodukte sowie die Schaffung passender institutioneller und gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Dazu gehören unter anderem eine angepasste Agrarverfassung, geeignete betriebswirtschaftliche Bedingungen, tragfähige Kreditsysteme und gute Ausbildungssysteme. So hatte die Grüne Revolution in Indien dort Erfolg, wo die zum Anbau von Hochleistungssorten unverzichtbaren Dünge- und Pflanzenschutzmittel dank der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von den Landwirten gekauft werden konnten und wo vor allem genügend Wasser zur Bewässerung verfügbar war. Für trockene Gebiete waren die damals neuen Sorten ungeeignet und auch in feuchten Gebieten gelang der Anbau nur dann, wenn die Mittel zum Kauf der Produktionshilfsmittel zur Verfügung standen; arme Bauern waren also vom Fortschritt ausgeschlossen. Entsprechend gab es keine Grüne Revolution im trockenen und armen Afrika südlich der Sahara.
 
Für die kommenden Jahrzehnte bedarf es einer »Supergrünen Revolution«, die im Kern aus den gleichen Elementen wie der vorhergehende Entwicklungsschritt bestehen müsste. Neu wäre aber die Anwendung biotechnischer und vor allem gentechnischer Verfahren in der Züchtung. Die Züchtungsarbeit selbst muss außer den bisherigen Standardarten Weizen, Reis und Mais stärker solche Pflanzen berücksichtigen, die ohne Bewässerung angebaut werden können, also beispielsweise Gerste, Hirsearten und vor allem auch Hülsenfrüchte, denen wegen des Eiweißreichtums der Samen ernährungsmäßig besondere Bedeutung zukommt. Verstärkte Züchtungsarbeit sollte auch den Knollenfrüchten gewidmet werden. Wie schon in der Grünen Revolution geht es bei der Pflanzenzüchtung nicht nur um mengenmäßig hohe Erträge, sondern auch um die Qualität der Inhaltsstoffe. Die neuen Techniken machen auch ernährungsphysiologisch ungünstige Inhaltsstoffkombinationen oder schädliche Inhaltsstoffe der Verbesserung beziehungsweise Beseitigung durch den züchterischen Eingriff zugänglich. Weitere mögliche Züchtungsziele sind die Verminderung des Wasserbedarfs der Pflanze, die Fähigkeit zum Ertragen von hohem Salzgehalt des Bodens oder Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten oder Schädlinge.
 
 Die Produktionssteigerung muss ökologisch vertretbar sein
 
Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des damit stark ansteigenden Nahrungsbedarfs gewinnt die Frage zunehmend an Bedeutung, ob und wie die vermehrte landwirtschaftliche Produktion auf ökologisch vertretbare Weise realisiert werden kann. Neben Fragen des Arten- und Naturschutzes, die aus dem Blickwinkel eines gut versorgten Mitteleuropäers ganz anders gewichtet werden als aus demjenigen eines Armen aus den weniger entwickelten Ländern, geht es hier vor allem auch um den Ressourcenschutz, insbesondere den Gewässer- und Grundwasserschutz. Diesem kommt weltweit entscheidende Bedeutung für das zukünftige Wohlergehen der Menschheit zu.
 
Das 21. Jahrhundert wird neben einem zunehmenden Bedarf an Nahrungsmitteln pflanzlichen Ursprungs auch eine ansteigende Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten aufweisen. Das hängt zum einen mit dem Anstieg der Bevölkerung insgesamt zusammen, zum anderen steigt, wie bereits erwähnt, nach bisherigen Erfahrungen mit zunehmendem Einkommen auch der Verbrauch an Nahrungsprodukten tierischen Ursprungs an. Die angestrebte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den heute weniger entwickelten Ländern lässt also entsprechende Veränderungen im Nahrungsspektrum erwarten. Die Frage, ob der in Deutschland und einigen anderen Industrieländern um 1995 zu beobachtende Rückgang des Fleischkonsums aufgrund ethischer und gesundheitlicher Bedenken anhält, kann bislang nicht beantwortet werden. Die Prognose eines weltweit gesehen steigenden Verbrauchs dürfte davon aber nicht berührt werden. Wenn der gegenwärtige Anstieg der Fleischerzeugung anhält (1987 bis 1997 Steigerung um 39 Prozent), dürfte auch in absehbarer Zukunft die Nachfrage zu decken sein. Im Übrigen besteht ein Steigerungspotenzial in der Verminderung von Verlusten durch Tierkrankheiten, falsche Haltungsweise der Tiere und Verderb der Produkte. Allerdings sollte die gegenwärtig vor allem in den Industrieländern geübte Praxis der Verwendung hochwertiger Futtermittel in der Tierhaltung aufgegeben werden, denn Haustiere dürfen in der gegenwärtigen Situation keinesfalls Nahrungskonkurrenten des Menschen sein.
 
 Alternativen zur Haustierhaltung
 
Ehe die landwirtschaftliche Haustierhaltung aufkam, hat der Mensch seinen Bedarf an tierischer Nahrung durch Einsammeln von kleineren Tieren oder Eiern sowie durch Jagd und Fischerei gedeckt. Die Nutzung von Insekten, Schnecken, Fröschen, Eidechsen und anderen kleineren Tieren ist regional durchaus noch üblich. Zum Teil haben diese Nahrungsobjekte heute aber den Charakter von Delikatessen, wie beispielsweise Froschschenkel oder Weinbergschnecken, stellen also nur eine zusätzliche Nahrung dar. Auch die Jagd spielt immer noch eine gewisse Rolle bei der Fleischversorgung. Sie liefert in den Industrieländern aufs Ganze gesehen eher Delikatessen, in den weniger entwickelten Ländern stellt sie mancherorts eine lebenswichtige Eiweißquelle dar, vor allem bei Volksgruppen mit traditionell geprägter Lebensweise in Südamerika oder Südostasien. Wildtiere könnten auch zukünftig für einige Länder eine nennenswerte Fleischquelle sein. Beispielsweise müssen manche Wildtierpopulationen in räumlich begrenzten Naturreservaten Afrikas zur Vermeidung einer das Schutzziel gefährdenden Überbevölkerung im Bestand reguliert, das heißt bejagt werden. Das anfallende Fleisch steht zur Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung. In vielen Teilen der Welt werden Wildtiere planmäßig unter menschlicher Kontrolle gehalten (Game farming) und zur Fleischproduktion genutzt. Wenn auch die Ertragsmengen gegenwärtig global gesehen klein sind gegenüber den mit traditionellen Haustieren erzielten, ist hier doch ein zukünftiges Potenzial zur Versorgung bestimmter Regionen zu sehen.
 
 Abbau der Überkapazitäten in der Meeresfischerei
 
Die Fischerei hat sich zu einem eigenen Wirtschaftszweig entwickelt. In der Meeresfischerei sind allerdings, wie weiter oben beschrieben, derartige Überkapazitäten aufgebaut worden, dass es zur Überfischung vieler Meerestierbestände gekommen ist. Wenn es bei der jetzigen extremen Ausbeutung des Meeres bleibt, muss zukünftig mit starken Rückgängen der Fangzahlen gerechnet werden. Eine international akzeptierte und effektiv kontrollierbare Bewirtschaftung des Meeres könnte dies aber verhindern und wahrscheinlich sogar längerfristig eine gewisse Steigerung der Fangmenge ermöglichen. Dazu wären verschiedene bestandserhaltende Maßnahmen nötig, wie zeitweiliger Fangstopp für gefährdete Arten, Fangmengenbegrenzungen zur Sicherung der Fortpflanzungskapazität, Festlegen von Schonzeiten und Schongebieten. Vor allem aber müssten die Überkapazitäten an Fangschiffen abgebaut werden. Und da liegt eine besondere Schwierigkeit, denn hier geht es nicht ohne den politisch schwer durchsetzbaren Abbau von Arbeitsplätzen. Die Versorgung des Menschen mit Fisch lässt sich im Übrigen noch dadurch steigern, dass auf die Verarbeitung verzehrtauglicher Fische zu Fischmehl verzichtet wird. Die Fangmenge an Konsumfisch aus dem Meer ließe sich dadurch um rund 40 Prozent steigern.
 
 Hoffnungsträger Aquakultur
 
In den Binnengewässern könnten Ertragssteigerungen durch Unterbinden der vielerorts sehr starken Gewässerverunreinigung erreicht werden. Darüber hinaus würde sich die Bewirtschaftung von Fischbeständen mithilfe von Fangreglementierungen und Sicherung der natürlichen Fortpflanzung sowie gegebenenfalls künstlicher Aufzucht von Jungfischen und deren späterem Aussetzen in den Gewässern positiv auswirken. Die besten Chancen für Ertragssteigerungen bietet die Aquakultur; das gilt gleichermaßen für Meer und Süßwasser.
 
Man rechnet mit einer Fortsetzung des Wachstumstrends der 1990er-Jahre auch in naher Zukunft und hofft, dass damit trotz wachsender Bevölkerungszahl die Pro-Kopf-Versorgung mit Fischeiweiß in den nächsten Jahren nicht zurückgeht. Die großen Hoffnungen, die man auf die Aquakultur setzt, gründen sich nicht zuletzt darauf, dass die Züchtung von Fischen noch weit hinter der von Landhaustieren zurückliegt. Futterausnutzung, Wachstumsgeschwindigkeit oder Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten sind einige der produktionsbestimmenden Faktoren, die züchterisch verbessert werden können. Begrenzungen für die Aquakultur ergeben sich im Binnenland aus der Beschränktheit der Ressource Süßwasser und dem Flächenbedarf von Teichen, der mit dem der Landwirtschaft konkurriert. In manchen Fällen ergeben sich auch Konflikte mit dem Naturschutz. Meerwasser hingegen steht praktisch unbegrenzt zur Verfügung. Die Zahl der Tierarten, die in der Marikultur gehalten werden können, ist jedoch verhältnismäßig gering. Auch treten in den für die Aquakultur besonders geeigneten Küstengewässern oft störende Abwasser- und Schadstoffbelastungen auf. Bei einer Ausweitung der Aquakultur sollte vermieden werden, dass für die Ernährung des Menschen unmittelbar verwendbare Produkte als Futtermittel eingesetzt werden.
 
 Die Bedeutung neuartiger Nahrungsmittel
 
Es ist zu erwarten, dass die Produktion von Großalgen, wie Braunalgen (Tange) und Rotalgen, in der Aquakultur auch in nächster Zeit noch zunehmen wird. Die gewonnenen Algenprodukte zählen allerdings nicht zu den Grundnahrungsmitteln. Jedoch lassen sich mit biotechnischen Verfahren kultivierte Kleinalgen vom Grünalgentyp sowie fädige Blaualgen zur Proteingewinnung und damit zur Herstellung von Grundnahrungsmitteln nutzen. Theoretisch zumindest können Algenkulturen einen Flächenertrag an Eiweißen liefern, der die Leistung von Getreide oder sogar von Hülsenfrüchten wie der Sojabohne um ein Vielfaches übertrifft. Die hohen Erwartungen an diese unkonventionelle Form der Produktion von Nahrungsmitteln haben sich jedoch bislang nicht erfüllt, die Produktionstechnik ist für die Praxis noch nicht hinreichend ausgereift.
 
Bei einer Verbesserung des Angebots an Grundnahrungsmitteln in weniger entwickelten Ländern könnten bestimmte neuartige Nahrungsmittel zukünftig Bedeutung erlangen. Basis solcher Produkte sind beispielsweise Eiweiße, die aus Produktionsrückständen gewonnen werden, die bei der Ölgewinnung aus Pflanzensamen anfallen. Möglich ist das vor allem bei Sojabohne und Erdnuss, aber auch bei Baumwolle, Sonnenblume oder Raps. Eiweiße lassen sich auch aus grünen Blättern extrahieren. Die solcherart gewonnenen Proteine werden Getreidemehlen beigemengt, sodass ein preiswertes eiweiß- und energiereiches Lebensmittel entsteht. Auch die Herstellung fleischähnlicher Produkte aus Eiweißen pflanzlicher Herkunft ist möglich, so zum Beispiel auf Sojabohnenbasis. Die Akzeptanz dieser Produkte ist derzeit aber gering, sodass sie noch keinen nennenswerten Beitrag zur Welternährung leisten. Auch aus Schlachtabfällen und Fischabfällen lassen sich Eiweiße extrahieren und in neuartige Produkte einbauen. Hierin liegt ein gewisses Potenzial für eine zukünftige Verbesserung der Welternährung.
 
 Welternährung im 21. Jahrhundert
 
Bei allen Planungen für das 21. Jahrhundert muss berücksichtigt werden, dass die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten von 5,9 Milliarden (1998) auf geschätzte 8 Milliarden (2025) anwachsen wird, was eine Zunahme um etwa 2,1 Milliarden Menschen beziehungsweise 36 % bedeutet. Die Probleme verschärfen sich noch dadurch, dass dieses Wachstum fast ausschließlich in den weniger entwickelten Ländern stattfindet. In den ärmsten Ländern verdoppelt sich die Bevölkerung bis 2025 nach diesen Schätzungen sogar nahezu und für das Jahr 2050 wird mit einer Bevölkerungszahl von knapp 10 Milliarden gerechnet. Die Schätzungen schwanken in Abhängigkeit von Annahmen über die Entwicklung der Kinderzahl in den einzelnen Ländern erheblich. Entsprechend stark unterscheiden sich auch die Schätzungen für den zukünftigen Nahrungsbedarf und die notwendigen Steigerungsraten der Produktion. Experten halten bis in die Jahre 2025 bis 2030 mindestens eine Steigerung von 40 %, möglicherweise sogar von 75 % für erforderlich. Hinsichtlich der Möglichkeiten einer derartigen Steigerung gibt es krasse Extrempositionen auf optimistischer wie auf pessimistischer Seite. Die in den Jahren 1981 bis 1997 erzielten Produktionssteigerungen lassen jedoch vorsichtigen Optimismus zu.
 
Allerdings müssen enorme Anstrengungen unternommen werden um die Zahl der unterernährten Menschen in den nächsten Jahrzehnten zu verringern. Die größten Probleme bestehen in Afrika südlich der Sahara, wo das starke Bevölkerungswachstum zumindest in naher Zukunft noch zu einer Zunahme der Zahl der Unterernährten führen wird. In den übrigen Erdteilen wird mit einem Rückgang der Unterversorgung gerechnet. Es bedarf nicht nur agrartechnischer Fortschritte, sondern vor allem politischer Maßnahmen zur Beseitigung von Kriegen und Armut, wenn das Ziel der Welternährungskonferenz von 1996 in Rom verwirklicht werden soll, bis 2015, möglichst schon bis 2010, die Zahl der unterernährten Menschen zu halbieren. Diese Zielvorstellung macht im Übrigen deutlich, mit welchen Zeithorizonten bei der Lösung der Welternährungsprobleme zu rechnen ist.
 
Prof. Dr. Hartmut Bick
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Welternährung: Geschichte der Nahrungsgewinnung
 
 
Diamond, Jared: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 51998.
 
Ernährungsbericht 1992, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. .. Frankfurt am Main 1992.
 Franke, Wolfgang: Nutzpflanzenkunde. Nutzbare Gewächse der gemäßigten Breiten, Subtropen und Tropen. Stuttgart u. a. 61997.
 Geisler, Gerhard: Farbatlas landwirtschaftliche Kulturpflanzen. Stuttgart 1991.
 Körber-Grohne, Udelgard: Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie. Stuttgart 31994.
 
Nahrung für alle: Welternährungsgipfel 1996. Dokumentation, herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Bonn 1997.
 
Nutztiere der Tropen und Subtropen, herausgegeben von Siegfried Legel. Band 2: Büffel, Kamele, Schafe, Ziegen, Wildtiere, bearbeitet von Dietrich Altmann u. a. Stuttgart u. a. 1990.
 Schug, Walter u. a.: Welternährung. Herausforderung an Pflanzenbau und Tierhaltung. Darmstadt 1996.
 Tivy, Joy: Landwirtschaft und Umwelt. Agrarökosysteme in der Biosphäre. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Welternährung — Wẹlt|er|näh|rung, die <o. Pl.>: Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln. * * * Welt|ernährung,   Begriff, unter dem die Versorgung der in vielen Regionen wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln diskutiert wird, meist aus… …   Universal-Lexikon

  • Landwirtschaft — Agrar; Landbau; Ackerbau * * * Land|wirt|schaft [ lantvɪrtʃaft], die; , en: 1. <ohne Plural> planmäßiges Betreiben von Ackerbau und Viehzucht zum Erzeugen von pflanzlichen und tierischen Produkten: Landwirtschaft treiben. 2.… …   Universal-Lexikon

  • Ernährung: Was der Mensch isst —   Seit eh und je nutzt der Mensch zur Deckung seines Nahrungsbedarfs Pflanzen und Tiere. Das mengenmäßige Verhältnis von pflanzlicher zu tierischer Nahrung unterscheidet sich von Land zu Land zum Teil sehr stark, wofür es mehrere Gründe gibt: ein …   Universal-Lexikon

  • Mensch — Charakter; Individuum; Subjekt; Person; Typ (umgangssprachlich); Persönlichkeit; Einzelwesen; Humanoid; Erdenbürger; Homo sapiens; Origi …   Universal-Lexikon

  • Aquakultur — Aqua|kul|tur 〈f. 20〉 Bewirtschaftung des Meeres, z. B. durch Muschelkulturen * * * Aqua|kul|tur, die; , en: 1. <o. Pl.> a) systematische Bewirtschaftung u. Nutzung von Meeren, Seen u. Flüssen für die Gewinnung bes. von für die menschliche… …   Universal-Lexikon

  • Vegetarismus — Vegane und vegetarische Speisen mit Tofu Als Vegetarismus wird eine Ernährungsweise des Menschen bezeichnet, bei der der Verzehr von Fleisch und Fisch bewusst vermieden wird. Einige Formen des Vegetarismus schließen auch Nahrungsmittel aus, die… …   Deutsch Wikipedia

  • Nord-Süd-Konflikt — Nọrd Süd Kon|flikt, der (Politik): Konflikt, der sich aus einem ↑ Nord Süd Gefälle ergibt. * * * Nord Süd Konflikt,   Sammelbegriff für das seit den 1960er Jahren als Gegensatz bezeichnete Gefälle der Lebensbedingungen zwischen den unter dem… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”